FFT-Methode getesteter Merkmalsvalidität

Verivox, Check24 & Co: Zwischen Unterstützung im Tarifdschungel und Eigeninteresse der Portalanbieter

Herausforderung in der Risikokommunikation

Mangelt es an belastbaren Daten zum Eintreffen spezifischer Ereignisse oder an Wissen über Entscheidungskonsequenzen, liegt ein Problem der Unsicherheit vor. Bessere Entscheidungen können dabei kaum durch den geübten Umgang mit Statistiken oder ihre transparente Kommunikation erreicht werden. Stattdessen ist die zentrale Fragestellung, wie der einzelne Verbraucher die Unsicherheit in seiner Entscheidungssituation reduzieren kann. Hierbei sind zwei Szenarien zentral:

Wie kann Unsicherheit für Problemstellungen alltagstauglich (schnell, praktisch) reduziert werden, bei denen der Verbraucher auf sich allein gestellt ist?

Wie kann Unsicherheit für Problemstellungen alltagstauglich (schnell, praktisch) reduziert werden, bei denen ein Experte dem Verbraucher Rat gibt?

 

Warum ist es schwierig, Entscheidungsunterstützung bei Problemen der Unsicherheit zu geben?

Entscheidungsprobleme der Unsicherheit zeichnen sich durch einen Mangel an belastbaren Daten aus. Dadurch ist eine direkte Auswahl der besten Entscheidungsoption im Grunde ausgeschlossen. Die Unterstützung besteht darin, entscheidende Strategien zu kennen, um Unsicherheit zu reduzieren. Was muss ich fragen, um die Auswahl möglicher Informationen bzw. Optionen zu reduzieren? Wonach muss ich suchen? Was muss ich prüfen, um unpassende Optionen auszusortieren, welche die Mindestanforderungen nicht erfüllen?

Welcher wissenschaftliche Lösungsansatz bietet sich an?

Im Gegensatz zu Verbrauchern sind Experten in einem bestimmten Fachgebiet in der Lage, anhand weniger heuristischer Merkmale objektive Standardunterschreitungen bei einem Entscheidungsproblem zu identifizieren. Mithilfe einer Analyse von konkreten Entscheidungssituationen von Verbrauchern werden mögliche Expertenheuristiken in Entscheidungsbäume destilliert. Diese fassen das auf Erfahrung basierte Bauchgefühl der Experten zusammen und leihen dem Verbraucher eine robuste Expertise, mit der er, dem Experten ähnlich, die Spreu vom Weizen zu trennen vermag.

Dies ist nicht nur für Fragestellungen bedeutsam, bei denen Verbraucher auf sich allein gestellt sind. Auch für Beratungssituationen lassen sich mögliche Entscheidungsheuristiken in Entscheidungsbäumen kombinieren: Hier geht es darum, dem Berater die wichtigsten Fragen zu stellen, um diese Situation robust einschätzen zu können.

Geeignete Entscheidungsbäume, die transparent, für Verbraucher nachvollziehbar und zugleich von hoher Güte sein können, sind die Fast-and-Frugal Trees (FFTs). Diese FFTs stellen eine Abfolge von zu prüfenden Merkmalen dar (Martignon et al., 2008). Es gibt immer nur eine Abzweigung (Stopp) oder man kommt zum nächsten Prüfmerkmal, aber es gibt keine weiteren Verzweigungen (s.u. das Themenbeispiel). Dies unterscheidet die FFTs von üblichen Entscheidungsbäumen. Erst beim letzten Merkmal in der Kette gibt es zwei Abzweigungen.

Es wurde gezeigt, dass FFTs in verschiedensten Entscheidungssituationen unter Unsicherheit schnelle und zuverlässige Entscheidungen ermöglichen, u.a. in der Psychiatrie, in der Anästhesiologie, aber auch in der Finanzwelt (Aikman et al., 2014; Green & Mehr, 1997; Jenny et al., 2013). FFTs lassen sich in Form einer grafisch aufgearbeiteten, einfachen Baumstruktur sowohl digital (z.B. App, Internetseite) als auch analog zu den Verbrauchern bringen (z.B. auf Postern oder in Broschüren). Somit sind sie ein evidenzbasiertes Instrument zur Entscheidungsunterstützung, das einfach zu implementieren ist. Im RisikoAtlas-Projekt wurde es erstmals für die alltägliche Verbraucherpraxis entwickelt und umgesetzt. Der Einsatz der FFTs ist zudem lebensdienlich, da ihre Benutzung Fähigkeiten trainiert. Die Verwendung der FFTs erleichtert das Verinnerlichen von Schlüsselmerkmalen für Problemstellungen und regt kritisches Denken an.

Die Reihenfolge der Merkmale in einem FFT ist kritisch und muss aufwendig im Vorhinein ermittelt werden. Hierbei sind manuelle, aber auch komplexere Ansätze mithilfe der Methoden des maschinellen Lernens vorhanden. Einmal statistisch ermittelt, ermöglicht diese Merkmalskombination einem Verbraucher, Entscheidungsoptionen robust zu klassifizieren (z.B. dahingehend, ob eine informierte Entscheidung ermöglicht wird), indem er die Ausprägung der Merkmale eigenständig überprüft.

 

Wie konstruiert man einen Entscheidungsbaum für ein Verbraucherproblem – die FFT-Methode getesteter Merkmalsvalidität

A. Was benötigen Sie?

Für die evidenzbasierte Entwicklung von FFTs benötigt man bei allen Ansätzen (inkl. der FFT-Methode getesteter Merkmalsvalidität) eine Datenbasis mit drei Teilen: Merkmale des Problems, Fälle der Problemstellung und die jeweilige Fallbewertung, z.B. durch ein Testergebnis.

  1. Teil – Merkmale des Problems

Es ist zunächst erforderlich zu klären, was das Problem ist, und zu definieren, über welche konkrete Entscheidung oder Bewertung informiert werden soll. Was soll der Entscheidungsbaum liefern? Unter diesem Gesichtspunkt recherchiert man mithilfe von Experten (z.B. Workshops), Kollegen, Laien und der Fachliteratur (Fachzeitschriften, White Papers, Regierungs- bis hin zu Erfahrungsberichten) Kandidatenmerkmale. Kandidatenmerkmale sind all jene Eigenschaften der Problemsituation, die möglicherweise ein Indikator für eine gute oder schlechte Entscheidung bei dem Problem sein könnten. Es kann lohnenswert sein, auch neue Merkmale, eigene Vermutungen, Intuitionen hinzuzuziehen. Eine Liste der Kandidatenmerkmale sollte dann vorliegen.

Jedes Kandidatenmerkmal muss durch einen Laien verstehbar und prüfbar sein. Die Liste sollte idealerweise ähnliche Merkmale zusammenfassen, gerade wenn es zu viele Merkmale werden. Man kann sagen, dass die von Experten gestützte Merkmalsauswahl im Vorhinein die wichtigste Stellschraube ist, vor allem um kosteneffektiv zu entwickeln. Denn jedes Merkmal zusätzlich verlangt mehr Fälle, um eine robuste Entwicklung zu ermöglichen. Als Faustregel kann man im Grunde 20 bis 50 Fälle für jedes Merkmal rechnen. Und jeder Fall bedeutet Aufwand: Jeder Fall muss einzeln in allen Merkmalen kodiert und eine Bewertung, z.B. durch ein Testergebnis, gewonnen werden. Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

  1. Teil – Fälle der Problemstellung

Wenn man einmal die Auswahl von Kandidatenmerkmalen getroffen hat, muss man herausfinden, wie oft sie unter welchen Umständen in der echten Welt vorzufinden sind. Hierfür sammelt man Material typischer Entscheidungssituationen, z.B. echte Kaufangebote, Videos echter Beratungssituationen oder echte Informationsangebote.

Liegt solches Material vor, sind mit Blick auf die Anzahl der Kandidatenmerkmale sowie mit Blick auf die Seltenheit des Prüfgegenstands (was soll der Entscheidungsbaum zu identifizieren helfen), mit einem systematischen Ansatz möglichst ökologisch valide Stichproben von Entscheidungssituationen auszuwählen. Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Liegt solches Material nicht vor, ist die FFT-Methode getesteter Merkmalsvalidität nicht geeignet. In einem solchen Fall muss man auf eine andere Methode ausweichen.

  1. Teil – Experimentelle Fallbewertungen

Für jeden Fall in Ihrer Datengrundlage müssen Sie wissen oder festlegen, ob das Zielkriterium erfüllt ist oder nicht. Im Fall einer Gesundheitsinformation wäre beispielsweise eine positive Bewertung das Zielkriterium, wenn durch sie eine informierte Entscheidung ermöglicht wird, andernfalls eine negative Bewertung. Ohne diese Basis von bereits entschiedenen Fällen ist kein Modell für zukünftige Entscheidungsunterstützung denkbar. Bei der FFT-Methode getesteter Merkmalsvalidität testen, d.h. ermitteln Sie, wie sich jeder Fall für den einzelnen Verbraucher ausspielt. Sie würden hiernach 500 bis 700 Fälle experimentell untersuchen, d.h. 30 bis 50 Laien würden mit jedem einzelnen Fall konfrontiert und auf dessen Basis zumindest eine Schlussfolgerung oder eine Entscheidungsintention signalisieren. Diese Schlussfolgerung bzw. diese „Entscheidung" entsprechen der positiven oder negativen Zielinformation, welche Sie interessiert. Dieser Ansatz ist unter allen FFT-Methoden besonders validiert, da der Entscheidungsbaum letztlich echte Verbraucherintentionen (Proxy zum Verhalten) modelliert.

Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

B. Wie gehen Sie vor?

Sie müssen nun herausfinden, welche Merkmale die von ihnen ausgewählten Fälle (z.B. echte Kaufangebote) aufweisen oder nicht aufweisen. Während Sie diese Fälle in Ihren Kandidatenmerkmalen beschreiben, lernen Sie viel über die tatsächliche Prüfbarkeit der Merkmale durch Laien. Es ist anzunehmen, dass Sie sich als Konsequenz bereits einiger Merkmale entledigen, für die eine korrekte Überprüfung durch Verbraucher schwierig gewesen wäre.

Parallel zur Kodierung der Fälle in den Merkmalen führen Sie die experimentellen Testungen der Fälle mit Laien durch. Hierbei geben Sie den Laien verbrauchernahe Entscheidungsaufgaben mit den Fällen bzw. auf Basis der jeweiligen Fälle.

Sofern geeignet, führen Sie alle 100 Fälle eine statistische Merkmalsselektion durch und versuchen so auch das Set der Merkmale handhabbarer zu gestalten. Dies wirkt sich positiv auf den Aufwand der Kodierung, der experimentellen Arbeit und auch der Modellfindung aus.

Wenn sich bei der Merkmalsauswahl nichts mehr ändert oder Sie Gefahr laufen, sechs Merkmale zu unterschreiten, lohnt sich eine Modellierung des Entscheidungsbaums auf Basis dieser Fall-Merkmals-Testergebnis-Profile.

Die Pipeline zur Entwicklung lässt sich in einer vereinfachten Darstellung zusammenfassen:

Pipeline zur Entwicklung - getestet

Die Modellierung aus Baumerstellung und Kreuzvalidierung ist händisch möglich, im Sinne einer effektiven Modellfindung mithilfe der Open-Source-Lösung R jedoch leichter. Neben dem Paket FFTrees (Phillips et al., 2017) können Sie auch eine Weblösung von Evaldas Jablonskis und Uwe Czienskowski unter http://www.adaptivetoolbox.net/Library/Trees/TreesHome#/ nutzen. Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Sie werden einen Fast-and-Frugal Tree (FFT) modellieren mithilfe des Teils der Fälle, den Sie als Trainingsdaten auswählen; oft 33% oder 50% der Fälle. Dieser FFT hat eine gewisse Güte hinsichtlich des Aufspürens Ihres Zielmerkmals (Testergebnis). D.h., er wird in der echten Welt Fälle übersehen und bei anderen fehlalarmieren. Um diese Güte quantifizieren zu können, führen Sie entweder eine statistische Kreuzvalidierung durch (Sie wenden den ermittelten Entscheidungsbaum auf zufällig wiederholt gezogene Fälle an; Testdatenfälle) oder Sie wenden ihn einmal auf eine Sammlung von Fällen mit Testergebnissen an, die Sie vor der Modellierung zur Seite gelegt haben. Alternativ können Sie auch noch eine völlig neue Stichprobe von Fällen mit Merkmalskodierungen und Testergebnissen sammeln (out-of-sample), auf die Sie den Entscheidungsbaum anwenden (Zusatzaufwand).

Welche Güte ausreichend ist, hängt sehr von den Fehlerarten und den an den Irrtum geknüpften Kosten ab. Abschließend muss das Modell in der Praxis mit Laien erprobt werden. Hierbei ist eine randomisierte kontrollierte Studie zweckmäßig, bei der man Entscheidungsintentionen von Verbrauchern, denen man den Entscheidungsbaum zur Hand gibt, mit solchen, die nichts oder ein Standardinformationsblatt haben, vergleicht. Wenn Sie bei Güte oder Evaluation Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Literaturempfehlungen zu den methodischen Grundlagen
  • Aikman, D., Galesic, M., Gigerenzer, G., Kapadia, S., Katsikopoulos, K. V., Kothiyal, A., ... & Neumann, T. (2014). Taking uncertainty seriously: Simplicity versus complexity in financial regulation. Bank of England Financial Stability Paper, 28.
  • Green, L., & Mehr, D. R. (1997). What alters physicians' decisions to admit to the coronary care unit?. Journal of Family Practice, 45(3), 219–226.
  • Jablonskis, E., & Czienskowski, U. (2017). Decision trees online. http://www.adaptivetoolbox.net/Library/Trees/TreesHome#/
  • Jenny, M. A., Pachur, T., Williams, S. L., Becker, E., & Margraf, J. (2013). Simple rules for detecting depression. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 2(3), 149–157.
  • Luan, S., Schooler, L. J., & Gigerenzer, G. (2011). A signal-detection analysis of fast-and-frugal trees. Psychological Review, 118(2), 316.
  • Martignon, L., Katsikopoulos, K. V., & Woike, J. K. (2008). Categorization with limited resources: A family of simple heuristics. Journal of Mathematical Psychology, 52(6), 352–361.
Wie können Sie die Methode übernehmen?

Wenn Sie ein Verbraucherthema von unserer Internetseite übernehmen möchten, können Sie das über die folgenden drei Wege tun:

  1. Sie verwenden eine digitale Kopie. Entweder Sie speichern sich direkt eine Grafik bzw. laden unser PDF herunter oder Sie binden die Grafik mittels Link(a href) oder iframe ein.
  2. Sie ziehen Ihre analoge Kopie und drucken sich unser PDF aus. Die Auflösung bzw. die vektorbasierte Grafik ist für Poster und Broschüren geeignet.
  3. Sie empfehlen die App und verweisen auf den Risikokompass aus PlayStore und AppStore.

Wenn Sie ein eigenes Modell entwickeln möchten, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Wir bitten darum, bei der Nutzung der Instrumente den Zuwendungsgeber, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie das Harding-Zentrum für Risikokompetenz als verantwortliche Entwickler zu erwähnen.
 
Die Logos zum Download finden Sie hier.
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Verivox, Check24 & Co: Zwischen Unterstützung im Tarifdschungel und Eigeninteresse der Portalanbieter

Der Stromanbieter zu teuer, spontan eine Urlaubsreise buchen und am besten gleich noch den Mietwagen dazu? Dann kann ein schneller Anbietervergleich mit Auskünften zu Preis, Vertragslaufzeit oder Kundenbewertungen sinnvoll sein. Mehr als jeder zweite Deutsche nutzt Vergleichsportale wie Verivox, Check24 & Co.  Doch auch wenn solche Webseiten durchaus nützlich sein können, um den Überblick im Tarifdschungel nicht zu verlieren: In der Regel sind die Portale nicht unabhängig. Provisionszahlungen der Anbieter beeinflussen das Ranking, es werden oft nur die Hälfte der Marktangebote berücksichtigt, oder es wird auf begrenzte Verfügbarkeiten hingewiesen, um Sie zum Buchen zu drängen. Unser Entscheidungsbaum als digitale Checkliste soll Ihnen dabei helfen, Vergleichsportale möglichst informiert zu nutzen, um das für Sie beste Angebot herauszufiltern. 

Quelle und Qualität der Daten
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